Der Frauenanteil in der deutschen Anwaltschaft steigt seit Jahren kontinuierlich. Doch ausgerechnet dort, wo Spezialisierung und Expertise besonders gefragt sind, zeigt sich ein unerwarteter Trend: In mehreren Fachanwaltschaften geht der Anteil von Frauen spürbar zurück. Aktuelle Daten der BRAK und Analysen aus der Fachpresse — darunter der Beitrag auf RSW.BECK.de — werfen ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die für die Zukunft der juristischen Expertise in Deutschland relevant ist.


Frauenanteil insgesamt steigt – aber nicht in den Fachanwaltschaften

Nach der aktuellen Mitglieder- und Fachanwaltsstatistik der BRAK (Stand 01.01.2025) gibt es 46.148 Fachanwält:innen in Deutschland. Davon sind 15.397 Frauen, was einem Frauenanteil von 33,36 % entspricht. Während sich der Gesamtfrauenanteil in der Anwaltschaft inzwischen der 40-Prozent-Marke nähert, stagniert oder sinkt der Anteil in bestimmten Spezialisierungen.

Besonders betroffen sind Fachgebiete, die traditionell hohe Frauenanteile aufweisen:

  • Familienrecht: Rückgang von 9.516 Fachanwält:innen (2017) auf 8.528 (2025)
  • Sozialrecht: Rückgang von 1.829 auf 1.619
  • Migrationsrecht: weiterhin vergleichsweise niedrige Titelzahlen

Parallel dazu steigt in anderen juristischen Berufsbereichen — insbesondere bei Syndikusanwält:innen — der Frauenanteil rasant und liegt inzwischen teilweise bei über 60 %. Das zeigt: Frauen treten in den juristischen Beruf ein, aber der Weg zum Fachanwaltstitel wird nicht im gleichen Maße beschritten.


Woran liegt das? Strukturelle Hürden für Fachanwältinnen

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig – einige davon strukturell:

Hohe zeitliche Belastung in entscheidenden Karrierephasen

Der Erwerb eines Fachanwaltstitels erfordert Präsenzlehrgänge, umfangreiche Falllisten und regelmäßige Fortbildung. Diese Anforderungen fallen häufig genau in die Lebensphase, in der viele Juristinnen familiäre Verantwortung tragen. Doppelbelastung führt dazu, dass Fachanwaltsambitionen häufig zurückgestellt oder aufgegeben werden.

Ungünstige Rahmenbedingungen in bestimmten Fachgebieten

Gerade familienrechtliche und sozialrechtliche Fachgebiete zeichnen sich oft durch hohe Arbeitslast, schwierige Mandantenstrukturen und vergleichsweise geringere Vergütung aus. Dies kann die Attraktivität des Fachanwaltstitels in diesen Bereichen verringern – insbesondere, wenn gleichzeitig besser planbare Syndikusanstellungen verfügbar sind.

Attraktivität alternativer Karrierewege

Unternehmen entwickeln sich zu attraktiven Arbeitgebern: feste Arbeitszeiten, Homeoffice, klare Entwicklungswege. Gerade für Juristinnen entstehen dort planbare Karriereoptionen ohne die traditionsgemäß hohe Präsenzkultur vieler Kanzleien.

Starres System der Fachanwaltschaft

Das Fachanwaltsmodell ist seit Jahren im Kern unverändert – trotz Digitalisierung, E-Learning-Möglichkeiten und veränderter Arbeitsrealitäten. Flexiblere Fortbildungsformen könnten den Zugang erleichtern.


Welche Risiken entstehen, wenn bestimmte Fachanwaltschaften „wegbrechen“?

⚖️ Weniger Vielfalt

Wenn Frauen in bestimmten Fachgebieten unterrepräsentiert sind, gehen wichtige Perspektiven verloren, gerade in sensiblen Bereichen wie Familienrecht oder Sozialrecht.

👩‍⚖️ Rückgang spezialisierter Expertise

Sinkende Zahlen beim Erwerb von Fachanwaltstiteln bedeuten langfristig weniger spezialisierte Beratung – ein Risiko für Rechtsuchende und den Berufsstand insgesamt.

📉 Gefahr einer Ungleichheit trotz formal steigender Frauenquote

Weil mehr Frauen ins juristische Berufsleben einsteigen, aber weniger die Spezialisierung anstreben können, entsteht eine Lücke zwischen Einstiegschancen und Karrierefortschritt.


Was könnte sich ändern? Ansätze für moderne Fachanwaltskarrieren

Um die Fachanwaltschaft für Frauen (und generell für die neue Anwaltgeneration) attraktiver zu gestalten, werden zunehmend folgende Maßnahmen diskutiert:

  • Mehr flexible Fortbildungsmodelle – Onlineformate, Hybridkurse, asynchrone Lernmodule
  • Anerkennung praktischer Erfahrung außerhalb starrer Fallzahlen
  • Teilzeit-Modelle für Fachanwaltslehrgänge
  • Mentoringprogramme speziell für Juristinnen
  • Modernisierung der Fachanwaltsordnung (z. B. für neue Rechtsgebiete wie KI-Recht oder Legal Tech)

Deutschland braucht eine Fachanwaltschaft, die sich an modernen Karrierewegen orientiert und Diversität aktiv fördert.


Fazit

Die Zahlen sind deutlich: Während die Anwaltschaft weiblicher wird, verliert die Fachanwaltschaft in einigen Bereichen Frauen. Die Gründe liegen in strukturellen Herausforderungen, unflexiblen Fortbildungsmodellen und attraktiveren Alternativen im Unternehmensbereich.

Für Kanzleien, Rechtsberater:innen und den Berufsstand insgesamt sollte dies ein Warnsignal sein: Spezialisierung muss zugänglicher werden – und zwar für alle.


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